Offener Brief: An die Präsidentin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge Frau Jutta Cordt

17.05.2018

Stellungnahme der AWO NRW zu den Durchfallquoten in Integrationskursen

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

irritiert haben wir in den zurückliegenden Tagen die mediale Berichterstattung über den Erfolg und Misserfolg von Zuwander*innen in Integrationskursen zur Kenntnis genommen. Unter Berufung auf Daten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wurde u.a. kolportiert, dass jede/r zweite Zuwanderer*in in den Integrationskursen scheitert. Zu der breiten Angebotspalette der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Nordrhein-Westfalen gehören auch Integrations- bzw. Sprachkurse. Daher ist es uns ein besonderes Anliegen, zu diesem Thema Stellung zu nehmen. Den implizierten und haltlosen Vorwurf, Sprachkurträger*innen üben Betrügereien mit Anmeldelisten aus, möchten wir hingegen an dieser Stelle unkommentiert lassen!

Vorweg genommen: Die Zahlen des BAMF decken sich durchaus mit unseren Erfahrungen. Werden allerdings die speziellen Bedingungen betrachtet, unter denen unsere Kursteilnehmer*innen Deutsch lernen, erscheinen die rund 50 Prozent an B1-Abschlüssen als Erfolg der Integrationskurse. Die weiteren knapp 50 Prozent sind als Misserfolg der Rahmenbedingungen zu werten, unter denen die Sprachkursträger*innen ihre Angebote durchführen müssen.

Die von der Volkshochschule (VHS) genannten Umstände und Gründe für das Nichtbestehen können wir also bestätigen. Ergänzen möchten wir allerdings noch, dass bei der Beurteilung der Durchfallquoten die speziellen Lernbedingungen in den unterschiedlichen Kursformen nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Schließlich ist Integrationskurs nicht gleich Integrationskurs: Klassische Kurse mit 600 Stunden zum Beispiel sind für einige Teilnehmer*innen zu kurz, um das geforderte Sprachlevel zu erreichen. Bestätigt wird diese Beobachtung dadurch, dass viele dann im zweiten Anlauf – nach weiteren 300 Stunden und einer zweiten Prüfung – das Ziel B1 erreichen. Ein Ansatz hier könnte sein, die Laufzeit der Kurse zu verlängern und den Schüler*innen somit mehr Zeit zum Lernen zu verschaffen. Gute Erfolge verzeichnen wir z.B. in unseren Elternkursen, die 900 statt 600 Stunden dauern. Hier ist insbesondere das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gefordert, durch eine auskömmliche Finanzierung eine Laufzeitverlängerung zu ermöglichen und damit den Erfolg der Schüler*innen zu gewährleisten.

Als Sonderfall seien weiterhin Integrationskurse mit Alphabetisierung genannt: Hier sammeln sich besonders viele lernschwache oder sogar lernbehinderte Teilnehmer*innen, die eigentlich eine entsprechende therapeutische Unterstützung beim Deutschlernen benötigen. Dies kann unter den gegebenen Umständen jedoch nicht gewährleitet werden. Um hier bessere Quoten zu erreichen, müssten zunächst einmal Diagnoseverfahren und entsprechende Lern- und Therapieformen geschaffen werden. Schließlich sind Themen wie Legasthenie u.a. auch im regulären Schulsystem ein Thema. Und selbst hier – bei deutschen Schüler*innen – stehen Lehrbeauftragte vor besonderen pädagogischen Herausforderungen. Dieser Umstand wird, sehr geehrte Frau Präsidentin, bei den Integrationskursen völlig außer Acht gelassen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt: Da in Hochzeiten der so genannten „Flüchtlingswelle“ viele Menschen mit Deutschkursen versorgt werden mussten, ließen sich in der Vergangenheit Klassen mit Maximalbelegung nicht vermeiden. Dass in einer Gruppe mit 25 Schüler*innen weniger effektiv gelernt wird und einzelne Teilnehmer*innen weniger individuell gefördert werden können, leuchtet sicherlich ein. Wir bemerken aber einen leichten Rückgang der Anmeldezahlen und können somit immer häufiger kleinere Klassen einrichten. Außerdem versuchen wir seit einiger Zeit, die Kurse gezielt mit ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen zu unterstützen, um unsere Teilnehmer*innen zielgerichtet fördern zu können. Damit haben wir bisher gute Erfolge erzielen können.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, wir laden Sie herzlich ein, sich selbst vor Ort ein Bild von unseren Erfolgen zu machen.

Abschließend soll noch betont sein, dass wir als AWO den Erfolg von Integrationskursen nicht ausschließlich an der bestanden B1-Prüfung messen. Der kulturübergreifende Austausch unter den Schüler*innen bietet Orientierung und Hilfe, das Gruppengefüge gibt Halt und die Dozent*innen werden im Laufe des Kurses nicht selten zu Tutor*innen, deren Unterstützung weit über den Bereich „Sprache“ hinausgeht.

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
wir fordern Sie auf, einer solch meinungsmachenden Berichterstattung aktiv entgegen zu treten und dabei ebenso auf die zahlreichen Erfolge der Integrationskurse hinzuweisen, wie auch auf die oftmals erschwerten Bedingungen, unter denen die Sprachkursträger*innen bemerkenswerte Ergebnisse erzielen. Wir sehen es dabei auch als Aufgabe des BAMF an, nicht viel Geld für die externe Evaluation von Integrationskursen auszugeben, sondern dafür zu sorgen, dass Sprachkursträger*innen finanziell auskömmlich ausgestattet werden, um ihre Angebote im Sinne der Zuwander*innen und gelingender Integration auch erfolgsversprechend durchführen zu können. Anstatt den Erfolg bzw. Misserfolg von Integrationskursen durch die Firma McKinsey auszuwerten, regen wir an, zu evaluieren, wie die Arbeitsbedingungen in den Sprachkursen verbessert werden können. Denn durch optimale Rahmenbedingungen in den Integrationskursen können die zahlreichen nachweisbaren Erfolge noch mehr in den Fokus der Öffentlichkeit geraten.

Mit freundlichen Grüßen

Uwe Hildebrandt
- Geschäftsführer -

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